LAG Hannover: Keine Betriebsänderung vor Abschluss des Interessenausgleichsverfahrens
Wie das LAG Hannover entschieden hat, kann ein Betriebsrat von seinem Arbeitgeber verlangen, eine Betriebsänderung erst nach Abschluss des Verfahrens über einen Interessenausgleich umzusetzen. Dieser Anspruch kann im Wege einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden.
Der Arbeitgeber betreibt eine Diskothek und beschäftigt ca. 140 Arbeitnehmer. Er beabsichtigt, diverse Tätigkeiten an andere Unternehmen zu übertragen, u.a. den Betrieb verschiedener Theken, der Garderobe, des in der Diskothek befindlichen Kinos, Reinigungsleistungen und DJ-Tätigkeiten. Der Betriebsrat verlangte vom Arbeitgeber, diese Maßnahmen erst umzusetzen, wenn das Verfahren über einen Interessenausgleich abgeschlossen ist.
Das LAG Niedersachsen hat dem Betriebsrat Recht gegeben. Es handele sich bei den Maßnahmen um eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG. Der Arbeitgeber sei durch diese Bestimmung verpflichtet, den Betriebsrat nicht nur über die geplante Betriebsänderung zu informieren, sondern mit diesem über die Betriebsänderung zu beraten. Dieses Beratungsrecht diene dazu, die Interessen der Arbeitnehmer in die Entscheidungsfindung des Arbeitgebers einfließen zu lassen und würde bei einer vorzeitigen Umsetzung der Betriebsänderung ins Leere gehen. Das Gesetz wolle aber mitbestimmungswidriges Verhalten verhindern. Deshalb stehe dem Betriebsrat ein Anspruch auf Unterlassung der Umsetzung der Betriebsänderung bis zum Abschluss des Verfahrens über einen Interessenausgleich zu.
Dieser Anspruch könne auch im Wege einer einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden. Dem stehe auch nicht die Bestimmung von § 113 Abs. 3 BetrVG entgegen. Zwar sehe diese im Falle einer Missachtung der aus § 111 BetrVG resultierenden Pflichten einen Anspruch auf Nachteilsausgleich vor, dabei handele es sich aber nur um einen individualrechtlichen Anspruch. Eine solche individualrechtliche Sanktion könne aber einen kollektivrechtlichen Mitwirkungsanspruch nicht beeinträchtigen. Ferner führe der Unterlassungsanspruch auch nicht zu einer „Überbefriedigung“ des Betriebsrates, da der Unterlassungsanspruch nur bis zum Abschluss der Verhandlungen reiche. (LAG Hannover v. 04.05.2007, 17 TABVGA 57/07)
Hinweis von Rechtsanwalt Rolf-Christian Otto: Die Entscheidung reiht sich ein in die Vielzahl paralleler Entscheidungen anderer Landesarbeitsgerichte, die in den vergangenen Jahren einen Anspruch des Betriebsrates auf Unterlassung einer Betriebsänderung bis zum Abschluss des Verfahrens über einen Interessenausgleich ebenfalls akzeptiert haben. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass einzelne Landesarbeitsgerichte, wie beispielsweise das LAG München, eine andere Auffassung vertreten. Da es sich bei diesen Verfahren um solche über den Erlass einer einstweiligen Verfügung handelt, ist ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des jeweiligen Landesarbeitsgericht nicht gegeben und eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung durch eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht zu erwarten. Somit hängt die Frage, ob der Arbeitgeber mit der Umsetzung einer Betriebsänderung bis zum Abschluss des Interessenausgleichsverfahrens zuwarten muss, weiterhin davon ab, in welchem Arbeits- bzw. Landesarbeitsgerichtsbezirk der Betrieb gelegen ist.
17 TaBVGa 57/07