LAG Hessen: Betriebsbegriff im Entgelttransparenzgesetz
Das Hessische Landesarbeitsgericht hatte im vorliegenden Berufungsverfahren über einen Auskunftsanspruch aus dem Entgelttransparenzgesetz zu entscheiden.
Die Klägerin ist bei der beklagten Arbeitgeberin seit dem 01.04.2005 als Sachbearbeiterin im Bereich Lohnbuchhaltung in einem sog. Servicecenter in F. beschäftigt. Mit Schreiben vom 21.06.2018 begehrte die Klägerin die Auskunft von der Beklagten nach § 10 Abs. 1 EntgTranspG über die Vergleichsentgelte der bei ihr beschäftigten Sach- und Personalsachbearbeiter in der Lohnbuchhaltung sowie die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 11.07.2018 die Auskunftserteilung mit der Begründung ab, dass im Servicecenter in F. lediglich 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt seien. Mit Klage vom 16.11.2018 machte die Klägerin den Auskunftsanspruch sodann beim Arbeitsgericht Fulda geltend. Sie hat u.a. die Ansicht vertreten, das Servicecenter in F. sei keine eigenständige Niederlassung der Beklagten, sondern lediglich eine unselbstständige Abteilung des einheitlich in D. ansässigen Verwaltungsapparates der Beklagten. Das Servicecenter in F. sei damit insbesondere kein Betrieb im Sinne des § 12 EntgTranspG.
Das Arbeitsgericht Fulda hatte die Klage als unbegründet abgewiesen. Mit Berufung vom 24.02.2020 verfolgt die Klägerin ihren Auskunftsanspruch vor dem Hessischen LAG weiter. Das Servicecenter in F. sei weder ein eigener Betrieb noch ein eigenständiger Betriebsteil. Der Betriebsbegriff des BetrVG sei im EntgTranspG nicht zugrunde zu legen, da das BetrVG und das EntgTranspG unterschiedliche Zwecke verfolgen.
Gemäß § 10 Abs. 1 EntgTranspG haben Beschäftigte zur Überprüfung der Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots im Sinne dieses Gesetzes einen Auskunftsanspruch nach Maßgabe der §§ 11 bis 16 EntgTranspG. § 12 Abs. 1 EntgeltTranspG beschränkt den Auskunftsanspruch auf eine betriebliche Einheit. Es heißt wörtlich:
„Der Anspruch nach § 10 besteht für Beschäftigte nach § 5 Absatz 2 in Betrieben mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten bei demselben Arbeitgeber.“
Das LAG Hessen hat die Berufung der Klägerin im Ergebnis zurückgewiesen. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, der Klägerin Auskunft über die Vergleichsentgelte der bei ihr beschäftigten Sach- und Personalsachbearbeiter in der Lohnbuchhaltung sowie die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung zu erteilen. Bei dem Schwellenwert aus § 12 Abs. 1 sei der Betriebsbegriff des BetrVG anzuwenden. So enthalte das EntgeltTranspG zwar keine eigene Definition des Betriebsbegriffs, in der Gesetzesbegründung werde jedoch ausdrücklich auf das BetrVG verwiesen. So verweise der Gesetzgeber klar darauf, dass das EntgeltTranspG mit der Beschäftigtengrenze von 200 Beschäftigten eine im Betriebsverfassungsrecht anerkannte Betriebsgröße als Anwendungsbereich für den Auskunftsanspruch verwende (BT-Drs. 18/11133, S. 61). Gemessen an dem Betriebsbegriff des BetrVG sei das Servicecenter in F. ein (einfacher) Betriebsteil, der nach dem im BetrVG vorausgesetzten Betriebsbegriff unter der weiteren Voraussetzung, dass dieser räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt ist, zum qualifizierten Betriebsteil wird und damit nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG als eigenständiger Betrieb gilt. Im Servicecenter in F. sei die Grenze von 200 Beschäftigten damit nicht erreicht, sodass der Auskunftsanspruch der Klägerin aufgrund der in § 12 Abs. 1 EntgTranspG normierten Beschäftigtengrenze ausscheide.
Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:
In der höchstrichterlichen arbeitsrechtlichen Rechtsprechung ist bislang ungeklärt, ob im EntgeltTranspG der im Betriebsverfassungsrecht entwickelte Betriebsbegriff Anwendung findet. Das LAG Hessen hat diese Fragestellung jedenfalls mit der vorliegenden Entscheidung bejaht. Der Verfasser teilt dieses Verständnis hingegen nicht, weil eine solche Auslegung mit der Zielsetzung des EntgeltTranspG nicht vereinbar ist.
Der Betriebsbegriff des Entgelttransparenzgesetztes ist mangels gesetzlicher Definition auslegungsbedürftig. Der Auskunftsanspruch nach § 10 EntgeltTranspG dient primär zur Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebotes aus § 3 Abs. 1 EntgTranspG, nach dem eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten ist. Bereits der gesetzliche Wortlaut des § 3 Abs. 2 EntgTranspG nimmt damit keine Beschränkung des Entgeltgleichheitsgebots hinsichtlich einer Betriebseinheit im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes vor. Dieser umfasst vielmehr sämtliche Beschäftigten desselben Arbeitgebers. Der Anspruch auf Entgeltgleichheit macht somit nicht am Betrieb halt. Aus diesem Grund kann der Auskunftsanspruch als Instrument zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit seine Grenze ebenfalls nicht im betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff finden. Das BetrVG verfolgt überdies eine abweichende Zielrichtung. Es dient als zentrale Grundlage für die Bildung und Tätigkeit von Betriebsräten und verfolgt den Zweck, einen Betriebsrat in möglichst kleinen Einheiten zu installieren, sodass der kollektivrechtliche Schutz und eine entsprechende Interessenvertretung nicht nur Arbeitnehmern in großen Unternehmen bzw. großen Betrieben vorbehalten bleibt. Auch kleine Arbeitnehmergruppen sollen in den Genuss der Bildung eines Betriebsrates kommen. Vor diesem Hintergrund wurde auch der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff entwickelt. Eine enge Verzahnung von EntgTranspG und BetrVG ist daher bereits aufgrund der gegenläufigen Zielrichtungen in Bezug auf den schutzwürdigen Personenkreis abzulehnen. Maßgeblich für die Auslegung des Betriebsbegriffs des EntgTranspG muss letztlich die Zielrichtung eben dieses Gesetzes sein. Diese besteht in der Gewährleistung der geschlechterunabhängigen Entgeltgleichheit in einem Unternehmen. Das zur Durchsetzung dieses Ziels erforderliche Instrument bildet der in § 10 normierte Auskunftsanspruch. Dieser kann jedoch nur dann effektiv dem vorbenannten Ziel dienen, wenn der Anknüpfungspunkt zwischen Instrument und Ziel der gleiche ist. Dieser Anknüpfungspunkt muss wie in § 3 EntgTranspG zwingend der Arbeitgeber und nicht etwa der einzelne Betrieb im Sinne des BetrVG sein. Der Gesetzesbegründung, auf die die neunte Kammer des Hessischen LAG ihr Auslegungsergebnis u.a. gestützt hatte, lässt sich gleichfalls nicht entnehmen, dass der Betriebsbegriff des BetrVG im EntgeltTranspG entsprechend anzuwenden sei. So heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/11133, S. 61) lediglich, dass es sich bei dem Schwellenwert von 200 Beschäftigten um eine im Betriebsverfassungsrecht anerkannte Betriebsgröße handelt. Gemeint ist damit insofern ein Verweis auf die Vorschriften in den §§ 27 Abs. 1, 9 BetrVG zum Betriebsausschuss und nicht etwa den in der Rechtsprechung entwickelten Betriebsbegriff.
Gericht:
LAG Hessen
Datum der Entscheidung
25.02.2021
Aktenzeichen
9 Sa 174/20