LAG Köln: Wirksamkeit außerordentliche Kündigung – soziale Auslauffrist – negative Gesundheitsprognose
Streitgegenständlich war die Kündigungsschutzklage eines einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Arbeitnehmers, welcher aufgrund des anwendbaren Tarifvertrages ordentlich nicht kündbar war.
Nach Anhörung des Gesamtpersonalrats, der Gesamtschwerbehindertenvertretung und der bei dem beklagten Arbeitgeber vorhandenen sog. „Stabsstelle Gleichstellung und Gender Mainstreaming“ zur Absicht des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zu kündigen, erteilte das Integrationsamt auf entsprechenden Antrag des Beklagten am 06.02.2018 (eingegangen am 09.02.2018) die Zustimmung zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist.
Die entsprechende Kündigung ging dem Kläger allerdings erst mehr als drei Monate nach Zustimmung des Integrationsamtes (am 18.05.2018) zu.
Das LAG Köln – wie zuvor schon das Arbeitsgericht Köln – sah die Klage des Arbeitnehmers als begründet und die Kündigung als unwirksam an.
Grund für die Unwirksamkeit der Kündigung war die mangelnde vorherige Zustimmung des Integrationsamtes zu der Kündigung gemäß § 168 SGB IX i.V.m. § 134 BGB.
Zwar wurde zuvor eine Zustimmung bei dem Integrationsamt eingeholt, jedoch konnte der Arbeitgeber sich auf diese Zustimmung nicht mehr berufen, da der Arbeitgeber nach der Fristenregelung in § 171 Abs. 3 SGB IX nur innerhalb eines Monats nach Zustellung der Zustimmungsentscheidung des Integrationsamtes die Kündigung erklären kann (bei außerordentlichen Kündigungen ist zudem insbesondere auf die Frist des § 626 BGB zu achten).
Hintergrund ist, dass der fristauslösende Sachverhalt „Zustimmung des Integrationsamtes“ ein punktueller und keinesfalls ein Dauertatbestand, d.h. insbesondere, dass die Zustimmung des Integrationsamtes zu einer Kündigung quasi nicht unbegrenzt auf Vorrat eingeholt werden kann.
Das LAG Köln verwies hier zudem auf die bereits bekannte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG v. 26.09.2013 – 2 AZR 843/12), wonach die Frist des § 171 IX Abs. 3 SGB IX eingehalten wird, wenn vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ein personalvertretungsrechtliches Mitbestimmungsverfahren durchzuführen ist. Hierzu führte das BAG in der eben genannten Entscheidung (damals noch zu § 91 Abs. 5 SGB IX; heute mittlerweile geregelt in § 174 Abs. 5 SGB IX) aus, dass es auch ausreichend sein kann, wenn der Arbeitgeber die Kündigung im Fall eines zuvor noch nicht abgeschlossenen Mitbestimmungsverfahrens unverzüglich dann ausspricht, wenn die personalvertretungsrechtlichen Kündigungsvoraussetzungen (wie etwa die Zustimmung des Betriebs- oder Personalrates zu der Kündigung) erfüllt sind.
Die spätestens am 09.03.2018 abgelaufene Monatsfrist des § 171 Abs. 3 SGB IX hätte also ausgedehnt werden können bis zu dem Zeitpunkt, zu dem „die personalvertretungsrechtlichen Kündigungsvoraussetzungen“ erfüllt sind. Voraussetzung wäre dann aber, dass danach unverzüglich die Kündigung ausgesprochen wird. Im vorliegenden Fall erfolgte die Kündigung aber auch nicht unverzüglich (also ohne schuldhaftes Zögern) nach Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens, weshalb die Kündigung allein schon wegen nicht rechtzeitigen Ausspruchs der Kündigung nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam war.
Hinweise von Mosebach Gescher Otto Dotting – Rechtsanwälte Partnerschaft mbB:
Die Entscheidung verdeutlicht noch einmal, wie bedeutend die Einhaltung von Fristen im Zusammenhang mit dem Ausspruch von Kündigungen von scherbehinderten Menschen oder diesen gleichgestellten Arbeitnehmern und der deshalb erforderlichen Beteiligung des Integrationsamtes sind. Wenn – wie im vorliegenden Fall – es sich zudem um eine außerordentliche Kündigung handelt und in dem betroffenen Betrieb ein Betriebsrat vorhanden ist, sind zudem verschiedene Fristen und Formalien zu beachten (vgl. etwa § 626 Abs. 2 BGB und § 102 BetrVG), welche bei dem Ablauf der Vorbereitung des Ausspruchs der Kündigung miteinander in Einklang zu bringen sind. Dies führt häufig zu einer höheren Fehleranfälligkeit solcher Kündigungen. Für den Arbeitgeber bedeutet dies eine besonders sorgfältige Vorbereitung der Kündigung und für den Arbeitnehmer die Chance, dass die Kündigung möglicherweise allein aufgrund der fehlenden Einhaltung von Fristen unwirksam sein kann.
Gericht:
LAG Köln
(das LAG Köln hat die Revision nicht zugelassen und dies damit begründet, dass die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht und der gefestigten Rechtsprechung des BAG und des BVerwG folgt)
Aktenzeichen:
6 Sa 72/19
Datum der Entscheidung:
05.09.2019