LAG Mecklenburg-Vorpommern: Bei einem Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns ist der Arbeitnehmer so zu stellen, als hätte er den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen.
Das BAG hatte über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages zu entscheiden. Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde. Am 18.10.2016 schloss der Kläger mit dem beklagten Land einen befristeten Arbeitsvertrag für die Dauer vom 01.11.2016 bis 09.12.2016 zwecks Übernahme einer Unterrichtsvertretung für eine rentenbedingt ausgeschiedene Lehrkraft. Die Parteien verlängerten sodann die befristete Beschäftigung mehrfach bis schließlich zum 31.08.2018. Am 13.09.2018 schloss das beklagte Land mit dem Kläger rückwirkend zum 01.08.2018 einen unbefristeten Arbeitsvertrag als vollbeschäftigte Lehrkraft und setzte ihn an der Förderschule E-Stadt ein. Laut Arbeitsvertrag gilt für das Arbeitsverhältnis der TV-L. In dem Arbeitsvertrag heißt es sodann unter § 3
„Die Probezeit nach § 2 Abs. 4 TV-L beträgt sechs Monate.“
Die kommissarische Schulleiterin der Förderschule, besuchte mehrfach den Unterricht des Klägers. Am 25.10.2018 hospitierte sie in der ersten Schulstunde. Im Anschluss daran äußerte sie sich noch im Klassenraum, aber außer Hörweite der Schüler kurz gegenüber dem Kläger zu ihren Eindrücken. Nach Aussage der Beklagten habe die Schulleiterin den Kläger mit den Worten „So geht es bei uns an der Schule nicht“ kritisiert. Der Kläger war von der Aussage sehr getroffen, meldete sich bei der Schulleiterin ab und suchte umgehend seinen Hausarzt auf, der eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zunächst bis zum 30.10.2018 ausstellte. Danach gab der Kläger seine Schlüssel für die Schule und die ihm überlassenen Schulbücher in der Schule ab. Die Schulleiterin informierte das zuständige Schulamt. Am Nachmittag kam es zu einem Telefonat zwischen dem Justiziar des Schulamtes, und dem Kläger. Der Justiziar lud den Kläger zu einem Gespräch am nächsten Tag ein, zu dem der Kläger vereinbarungsgemäß erschien. Das Gespräch am 26.10.2018 dauerte etwa 10-15 Minuten. Der Kläger unterschrieb bei diesem Gespräch einen Aufhebungsvertrag. Nach dessen Inhalt sollte das Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen zum 30.11.2018 aus persönlichen Gründen aufgelöst werden.
Der Kläger hält den von ihm unterzeichneten Aufhebungsvertrag für nichtig.
Zur Begründung führte er aus, die kommissarische Schulleiterin der Förderschule E-Stadt, habe ihm am 25.10.2018 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, das Arbeitsverhältnis mit ihm innerhalb der Probezeit zu beenden. Sie werde eine entsprechend negative Bewertung verfassen. Die Schulleiterin habe ihn dann aufgefordert, seine Schlüssel und Arbeitsunterlagen abzugeben. Das habe beim Kläger einen enormen psychischen Druck ausgelöst, weshalb er einen Arzt habe aufsuchen müssen. Nach dem Arztbesuch habe der Justiziar bei ihm angerufen und ihn freundlich zu einem Gespräch bei einer Tasse Kaffee am nächsten Tag eingeladen, um die Situation zu besprechen, da „wohl etwas schiefgelaufen“ sei. Der Kläger sei sogar erleichtert gewesen und davon ausgegangen, dass sich gemeinsam mit dem Justiziar eine Lösung finden lasse, insbesondere durch Wechsel an eine andere Schule. In dem Gespräch am 26.10.2018 habe der Justiziar dann jedoch erklärt, das Arbeitsverhältnis beenden zu wollen, und sich auf die Probezeit berufen. Anstatt einer makelbehafteten Kündigung in der Probezeit habe der Justiziar einen Aufhebungsvertrag vorgeschlagen. Die vom Kläger erbetene Bedenkzeit habe er kategorisch abgelehnt. Wenn er nicht an Ort und Stelle unterschreibe, erhalte er eine Kündigung in der Probezeit. Der Kläger habe zu keinem Zeitpunkt um eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebeten. Vielmehr sei er nach den befristeten Verträgen froh gewesen, endlich unbefristet beschäftigt zu sein. Den Aufhebungsvertrag habe er nur unterschrieben, weil der Justiziar andernfalls eine Kündigung in der Probezeit in Aussicht gestellt habe, gegen die sich der Kläger nicht wehren könne.
Das Arbeitsgericht ist den Ausführungen des Klägers zum Großteil gefolgt und hat der Klage stattgegeben. Über die eingelegte Berufung hatte nunmehr das LAG zu entscheiden. Nach Ansicht der Fünften Kammer ist das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch den Aufhebungsvertrag vom 26.10.2018 zum 30.11.2018 beendet worden. Der Aufhebungsvertrag ist unwirksam, da er unter Verstoß gegen das sog. Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen ist (§ 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1, § 249 Abs. 1 BGB).
Nach § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Dies gilt auch bei Vertragsverhandlungen, insbesondere über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Bei Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags kann eine Seite gegen ihre Verpflichtungen aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen, wenn sie eine Verhandlungssituation herbeiführt oder ausnutzt, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstellt. Das Gebot fairen Verhandelns wird missachtet, wenn die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst wird. Es geht dabei nicht um ein Erfordernis der Schaffung einer für den Vertragspartner besonders angenehmen Verhandlungssituation, sondern um das Gebot eines Mindestmaßes an Fairness im Vorfeld des Vertragsschlusses. Eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit sei aber noch nicht gegeben, wenn der eine Auflösungsvereinbarung anstrebende Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräume. Auch sei eine Ankündigung der beabsichtigten Aufhebungsvereinbarung nicht erforderlich. Eine Verhandlungssituation ist vielmehr erst dann als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht. Hat der Arbeitgeber somit den Aufhebungsvertrag unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns abgeschlossen, hat er nach § 249 Abs. 1 BGB den Zustand herzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde. Der Arbeitnehmer ist dann so zu stellen, als hätte er den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen.
Eine solche psychische Drucksituation hat das LAG im Verhalten der Beklagten als gegeben angesehen.
Zunächst habe das beklagte Land in dem unbefristeten, wenige Wochen zuvor geschlossenen Arbeitsvertrag vom 13.09.2018 ausdrücklich eine Probezeit vereinbart, obwohl nur die ersten sechs Monate einer Beschäftigung als Probezeit gelten. Die ununterbrochenen Vorbeschäftigungen des Klägers ab dem 01.11.2016 seien dem Schulamt bekannt gewesen. Da der Kläger anders als das Schulamt nicht über nähere Kenntnisse des Tarifrechts verfüge, habe er davon ausgehen müssen, sich vorerst in der Probezeit zu befinden und ohne weitere Begründung kündbar zu sein. Der Kläger durfte die vom Schulamt vorgelegten Vertragsbestimmungen daher für wirksam halten.
Des Weiteren baue die Äußerung der Schulleiterin gegenüber dem Kläger am 15.10.2018 mit den Worten „So geht es bei uns an der Schule nicht“ bei dem nicht einschlägig ausgebildeten und im Förderschulunterricht unerfahrenen Kläger einen massiven Druck auf. Der Kläger musste daraufhin jedenfalls an sich und seinen Fähigkeiten zweifeln.
Diese Situation, so das LAG, habe das Schulamt ausgenutzt, um das Arbeitsverhältnis mit dem zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähigen Kläger durch Aufhebungsvertrag zu beenden. Der Kläger war nach Aussage des die Verhandlungen führenden Justiziars „völlig verzweifelt“ und „mit seinen Nerven am Ende“. Der Justiziar habe aufgrund eines Telefonats mit der Schulleiterin gewusst, dass der Kläger den Unterricht abgebrochen und bereits die Schulschlüssel abgegeben hatte. Der Kläger habe aufgrund der Kürze des Gesprächs gar keine Gelegenheit gehabt, sich zu beruhigen und einen klaren Gedanken zu fassen. Es sei weder über die Ursachen der Verzweiflung gesprochen noch alternative Einsatzmöglichkeiten oder anderweitige Hilfestellungen erörtert worden. Der Kläger sei angesichts seines aufgelösten Zustandes erkennbar nicht in der Lage gewesen, seine Interessen wahrzunehmen und eine freie und überlegte Entscheidung zu treffen.
Vor diesem Hintergrund befand das Landesarbeitsgericht den Aufhebungsvertrag für unwirksam.
Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:
Auch im Arbeitsrecht gilt das Prinzip der Vertragstreue. Danach sind Verträge einzuhalten (pacta sunt servanda). Die vorbezeichnete Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern zeigt jedoch, dass auch von grundsätzlichen Prinzipen Ausnahmen bestehen. Liegt ein solcher Ausnahmefall, wie beispielswiese ein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns vor, kann sich auch ein vermeintlich verbindlicher und das Arbeitsverhältnis beendender Aufhebungsverträge als unwirksam erweisen. Allerdings ist hier Eile geboten, denn die erforderliche Anfechtung ist unverzüglich, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat, gegenüber dem Vertragspartner zu erklären.
Gericht:
LAG Mecklenburg-Vorpommern
Datum der Entscheidung:
19.05.2020
Aktenzeichen:
5 Sa 173/19