LAG Nürnberg: Anlasskündigung verpflichtet Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus
In vorliegendem Rechtsstreit streiten die Arbeitsvertragsparteien um Entgeltfortzahlungsansprüche für einen Zeitraum nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger hatte sich bei der beklagten Arbeitgeberin ursprünglich in seinem Ausbildungsberuf als Steinmetz beworben. Da bei der Beklagten allerdings nur eine Stelle als Radladerfahrer verfügbar war, arbeitete der Kläger zunächst in dieser Position. Trotz Einweisung in die Fahrzeugführung, stellte sich im Fortlauf des Arbeitsverhältnisses heraus, dass der Kläger im Umgang mit einem Radlader derlei ungeschickt war, dass er mehrere Unfälle verursachte. Aus diesem Grund hatte der Kläger selbst um ein Gespräch mit dem Leiter der Spalthalle und dem stellvertretenden Leiter des Steinbruchs der Beklagten gebeten. Eine solches Gespräch fand unter anderem am 27.10.2017 statt. Die konkreten Inhalte dieses Gesprächs sind zwischen den Parteien umstritten.
Ab dem 02.11.2017 war der Kläger bis zum 01.12.2017 arbeitsunfähig erkrankt.
Mit E-Mail vom 14.11.2017 teilte die Betriebsleitung der Beklagten dem Kläger mit, dass an ihn per Einschreiben die Kündigung des Arbeitsverhältnisses versandt worden sei. Die ordentliche Kündigung unter Wahrung der tariflichen Kündigungsfrist bis zum 16.11.2017 ging dem Kläger sodann am 15.11.2017 zu.
Mit Klage vom 12.03.2018 macht der Kläger gegenüber der Beklagten Ansprüche nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) geltend und fordert die Beklagte zur Lohnfortzahlung über den 16.11.2017 hinaus auf. Er trägt unter anderem vor, dass der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Erkrankung und Kündigung den Anscheinsbeweis zulasse, die Arbeitgeberin habe das Arbeitsverhältnis gerade wegen der Krankheit gekündigt. Das erstinstanzliche Gericht gab der Klage statt, sodass nunmehr das LAG Nürnberg über die Berufung der Beklagten zu entscheiden hatte.
In einem Arbeitsverhältnis, das vier Wochen ununterbrochen besteht, gilt der Grundsatz des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG:
„Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne daß ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.“
Dieser Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall besteht dabei während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses, sodass mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich auch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung endet. Eine Ausnahmeregelung hierzu sieht § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG vor, wonach im Falle einer sog. Anlasskündigung der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts über den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus fortbesteht. Der Arbeitgeber hat somit im Falle einer Anlasskündigung, wenngleich das Arbeitsverhältnis bereits rechtswirksam beendet worden ist, dennoch Arbeitsentgelt an den Arbeitnehmer zu zahlen.
Von einer solchen Anlasskündigung ist auszugehen, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt, d.h. die Arbeitsunfähigkeit wesentliche Bedingung der Kündigung ist. Der Begriff „aus Anlass“ ist dabei weit auszulegen. Es genügt, wenn die Kündigung ihre objektive Ursache und wesentliche Bedingung in der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat und den entscheidenden Anstoß für den Kündigungsentschluss gegeben hat. Die Darlegung einer solchen Anlasskündigung obliegt dabei grundsätzlich dem Arbeitnehmer. Ihm kommt allerdings der Anscheinsbeweis zu Gute, wenn die Kündigung in zeitlich engem Zusammenhang zur angezeigten Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen worden ist, d.h. in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem zeitlichen Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erfolgt.
Das LAG Nürnberg ist hier davon ausgegangen, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 02.11.2017 und dem Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 15.11.2017 vorliegt, sodass die beklagte Arbeitgeberin entgegen der üblichen Beweislastverteilung verpflichtet war, darzulegen, dass eine Anlasskündigung im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG nicht erfolgt ist.
Im vorliegenden Verfahren ist der Beklagten diese Darlegung aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme gelungen. So konnte nach der Würdigung des LAG der Beweis erbracht werden, dass nicht etwa die Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab dem 02.11.2017, sondern allein die Vielzahl der Fahrfehler mit dem Radlader Grund für die Kündigung waren. So sei dem Kläger bereits vor dem Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit im Gespräch am 27.10.2017 mitgeteilt worden, „er solle sich nach etwas anderem umschauen, da er im Betrieb der Beklagten keine Zukunft habe“. Seine Ungeeignetheit zum Führen eines Radladers hatte der Kläger selbst im Rahmen seiner Vernehmung eingestanden.
Das LAG kam insofern zu der Entscheidung, dass in der Kündigung vom 15.11.2017 keine Anlasskündigung zu sehen sei, sodass der Kläger keine Entgeltfortzahlung über den 16.11.2017 hinaus verlangen könne. Der Ausnahmetatbestand des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG sei hier nicht vorliegend.
Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:
In seiner Entscheidung geht das LAG Nürnberg davon aus, dass bei einem Zeitraum von 13 Tagen (02.11.2017 bis 15.11.2017) in Bezug auf eine Anlasskündigung im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG ein enger zeitlicher Zusammenhang zu bestätigen ist. Bei Ausspruch einer Kündigung sollten sich Arbeitgeber daher stets die Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG in Erinnerung rufen und prüfen, ob gegenwärtig eine Arbeitsunfähigkeit des zu kündigenden Arbeitnehmers besteht. Denn lässt sich unter Umständen der Nachweis nicht führen, dass die Kündigung nicht wegen der Krankheit des Arbeitnehmers erklärt wurde, so können daraus trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses erheblichen finanziellen Verpflichtungen in Form von Entgeltfortzahlungsansprüchen erwachsen.
Gericht:
LAG Nürnberg
Aktenzeichen:
7 Sa 364/18
Datum der Entscheidung:
10.12.2019