LAG Rheinland-Pfalz: Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers hinsichtlich der Urlaubsansprüche langandauernd erkrankter Arbeitnehmer

Urlaubsansprüche langandauernd erkrankter Arbeitnehmer erlöschen auch dann mit dem 31. März des zweiten Folgejahres, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während der ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit nicht auf den drohenden Verfall der Urlaubsansprüche hingewiesen hat.

Bereits im Beitrag vom 14.03.2019 hatten wir ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts diskutiert, mit dem die BAG-Richter darauf hingewiesen hatten, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres erlischt, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt hat und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Dieser Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem ein arbeitsfähiger Arbeitnehmer seinen Resturlaub aus dem Vorjahr gerichtlich geltend machte. Diesbezügliche Ausführungen finden Sie unter https://www.mosebach-partner.de/aktuelles/bag-der-anspruch-eines-arbeitnehmers-auf-bezahlten-jahresurlaub-erlischt-in-der-regel-nur-dann-am-ende-des-kalenderjahres-wenn-der-arbeitgeber-ihn-zuvor-ueber-seinen-konkreten-urlaubsanspruch-und-d/.

Nunmehr hatte sich das LAG Rheinland-Pfalz mit einer ähnlichen Fragestellung zu befassen, wenngleich der Kläger in diesem Verfahren nicht etwa arbeitsfähig, sondern langandauernd erkrankt war. Der Kläger war seit dem 01.11.1989 bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt und seit dem 18.01.2016 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Das Arbeitsverhältnis wurde schließlich aufgrund eines Auflösungsvertrages zum 28.02.2019 beendet. Da die Parteien in Bezug auf das Bestehen von Resturlaubsansprüchen aus dem Kalenderjahr 2016 im Streit lagen, wurde im Auflösungsvertrag folgende Formulierung aufgenommen: „Der Resturlaub 2016 ist strittig.“ Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe aus dem Jahr 2016 u.a. Urlaubsabgeltung für 20 Urlaubstage (gesetzlicher Mindesturlaub) zu, insbesondere weil die Beklagte auf die Gefahr des Verfalls des Urlaubs bzw. dessen Inanspruchnahme hätte hinweisen müssen. Ohne einen solchen Hinweis, könne der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch nicht verfallen. Die daraufhin beim Arbeitsgericht Kaiserslautern eingelegte Klage wurde abgewiesen, sodass nunmehr das LAG zu entscheiden hatte.

Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Der Kläger habe gegen seine ehemalige Arbeitgeberin keinen Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs für das Jahr 2016 im Umfang von 20 Tagen gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG. Zwar sei der Urlaubsanspruch seinerzeit in voller Höhe entstanden, allerdings mit Ablauf des 31.03.2018 verfallen, da der Kläger in der Zeit vom 18.01.2016 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 28.02.2019 arbeitsunfähig erkrankt war. Der gesetzliche Urlaubsanspruch gehe nach unionsrechtlicher Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres unter. Nicht zeitgerecht in Anspruch genommene Urlaubstage verfallen damit spätestens mit Ablauf des 31.03. des zweiten Folgejahres.

Eine Verpflichtung der Arbeitgeberin, darauf hinzuwirken, dass der Kläger den ihm zustehenden Urlaub in Anspruch nimmt, habe im vorliegenden Fall nicht bestanden, so das LAG. Zwar setze der automatische Verfall von Urlaubsansprüchen grundsätzlich eine solche Initiative des Arbeitgebers voraus, dies sei jedoch vorliegend aufgrund der langandauernden Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht erforderlich gewesen. Der vom BUrlG intendierte Gesundheitsschutz durch eine tatsächliche Inanspruchnahme des Erholungsurlaubs könne bei langandauernd erkrankten Arbeitnehmern nicht dadurch gefördert werden, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über den Umfang des noch bestehenden Urlaubs informiert, ihn auf die für die Urlaubstage maßgeblichen Fristen hinweist und ihn zudem auffordert, den Urlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Der Arbeitgeber habe ein schützenswertes Interesse daran, ein unbegrenztes Ansammeln von Urlaubsansprüchen durch den Arbeitnehmer zu verhindern und dem Urlaub fehle ohnehin, wenn er nicht innerhalb von 15 Monaten beginnend mit dem Ende des Urlaubsjahres genommen wird, die positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungsurlaub, so das LAG. Dem Arbeitnehmer sei es vorliegend aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit ohnehin nicht möglich gewesen, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen. Vor diesem Hintergrund hat das LAG Rheinland-Pfalz die Berufung als unbegründet zurückgewiesen.

 

Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:

Die Entscheidung des LAG steht damit in indirektem Widerspruch zu dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.02.2019. Danach sei der Arbeitgeber gehalten, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun. Der Arbeitgeber habe klar und deutlich mitzuteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nimmt. Nur wenn der Arbeitgeber einen solchen Hinweis erteile, könne der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers verfallen (BAG, Urteil vom 19.02.2019 – 9 AZR 541/15). Das BAG hatte sich allerdings – und hier besteht laut dem LAG der maßgebliche Unterschied zu vorliegendem Sachverhalt – nur mit der Frage zu befassen, ob eine Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers besteht, wenn der Arbeitnehmer arbeitsfähig und somit überhaupt in der Lage ist, Erholungsurlab in Anspruch zu nehmen. Die Auffassung des LAG wird diesseits nicht geteilt, denn es kann für das Bestehen einer Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers keinen Unterschied machen, ob der Arbeitnehmer erkrankt oder arbeitsfähig ist. Die diesbezügliche Argumentation des LAG Rheinland-Pfalz überzeugt nicht. So muss der Hinweis auf die Verfallfristen durch den Arbeitgeber so rechtzeitig erfolgen, dass der Arbeitnehmer seinen Erholungsurlaub noch rechtzeitig vor dessen Verfall in Anspruch nehmen kann. Regelmäßig kann der Arbeitgeber jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschätzen, ob der Arbeitnehmer tatsächlich bis zum Zeitpunkt des Verfalls arbeitsunfähig bleibt oder zuvor wieder gesundet und damit doch noch seinen Erholungsurlaub in Anspruch nehmen kann. Auch das Argument, der Arbeitgeber habe ein schützenswertes Interesse daran, ein unbegrenztes Ansammeln von Urlaubsansprüchen durch den Arbeitnehmer zu verhindern vermag nicht zu überzeugen. Denn durch die Wahrnehmung seiner Hinweispflicht verfügt der Arbeitgeber doch gerade über ein effektives Instrument, um zu verhindern, dass gesetzliche Urlaubsansprüche auch über den 31.03. des zweiten Folgejahres fortbestehen. Dass der zeitliche Bezug des Urlaubsanspruchs zum Kalenderjahr verloren geht, ist zwar zutreffend, diese Problematik stellt sich jedoch bei jeder Übertragung von Urlaubsansprüchen in das Folgejahr. Da eine grundsätzliche Übertragungsmöglichkeit bereits in § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG gesetzlich vorgesehen ist, kann die zeitliche Nähe zwischen dem Urlaubsjahr und dem Erholungsurlaub nur bedingt als Argument herangezogen werden. Dies insofern, als die zeitliche Übertragungsdauer doch gerade auf 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres gedeckelt ist. Es liegt somit allein im Machtbereich des Arbeitgebers, einen Verfall der gesetzlichen Urlaubsansprüche zum 31.03. herbeizuführen. Das dafür vorgesehene Instrument ist der transparente Hinweis auf den Verfall bestehender Urlaubsansprüche. Das LAG Rheinland-Pfalz weist zwar zutreffend darauf hin, dass das BUrlG das Ziel des Gesundheitsschutzes durch die tatsächliche Inanspruchnahme von Erholungsurlaub verfolge, spätestens seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 06.11.2018 muss jedoch davon ausgegangen werden, dass der Erholungsurlaub auch über eine finanzielle Komponente verfügt. Denn selbst wenn ein Arbeitnehmer verstirbt und der Erholungszweck nichtmehr erreicht werden kann, hat dies nicht etwa zur Folge, dass sein verbleibender Urlaubsanspruch automatisch erlischt. Vielmehr geht dieser mit dem Tod als vermögensrechtlicher Zahlungsanspruch auf die Erben über (EuGH, vom 06.11.2018 – C-569/16 und C-570/16). Aufgrund vorbezeichneter Ausführungen wird diesseits die Auffassung vertreten, dass Arbeitgeber auch langandauernd erkrankte Arbeitnehmer auf den Verfall bestehender Urlaubsansprüche hinweisen müssen, um einen Verfall der gesetzlichen Urlaubsansprüche zum 31.03. des zweiten Folgejahres zu bewirken.

Die Frage zum Verfall des gesetzlichen Urlaubsanspruchs wird damit auch künftig noch zu diskutieren sein. Dies hat auch das LAG Rheinland-Pfalz erkannt und in seiner Entscheidung vom 15.01.2020 die Revision zum Bundesarbeitsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Eine Entscheidung des BAG wäre daher zu begrüßen.

 

Gericht:

LAG Rheinland-Pfalz

Aktenzeichen:

7 Sa 284/19

Datum der Entscheidung:

15.01.2020