Sprechbehinderte Bewerber dürfen nicht wegen fehlender Kommunikationsstärke abgelehnt werden
Das LAG Köln hat am 26.01.2012 entschieden (AZ. 9 Ta 272/11), dass im Falle einer auf fehlende “Kommunikationsstärke” gestützten Ablehnung eines unter einer Sprechstörung leidenden Stellenbewerbers die Vermutung gerechtfertigt sein kann, dass eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vorliege. Der einstellende Arbeitgeber müsse diesen Vermutungstatbestand nach § 22 AGG entkräften. Wäre die Stelle allerdings auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht mit dem behinderten Bewerber besetzt werden, so könne dieser lediglich eine Entschädigung in Höhe von höchstens drei Monatsgehältern verlangen.
Der Kläger begehrte Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Klage auf Entschädigung und Schmerzensgeld wegen einer Benachteiligung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses aufgrund seiner Behinderung. Beim Kläger liegt wegen einer Sprechstörung (Stottern) eine Minderung seiner Erwerbsfähigkeit mit einem Grad von 30 vor. Der Kläger bewarb sich im Jahre 2011 auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle eines Arbeitsvermittlers. Nach einem Bewerbungsgespräch lehnte die Beklagte seine Bewerbung ab, weil andere Bewerber sie mehr überzeugt hätten. Diese seien insbesondere besser über ihr Jobcenter informiert und kommunikationsstärker gewesen. Der Kläger verlangte daher von der Beklagten wegen Benachteiligung aufgrund seiner Sprechbehinderung die Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von über 30.000 € und eine Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern.
Das LAG billigte dem Kläger zu, dass er Aussicht auf eine Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern habe, sodass der PKH-Antrag nicht vollständig abzuweisen sei. Denn nach dem Vorbringen des Klägers habe die Beklagte gegen das Verbot verstoßen, schwerbehinderte Beschäftigte wegen ihrer Behinderung bei der Bewerbung um eine Stelle zu benachteiligen. Ihre Berufung auf die fehlende Kommunikationsstärke des Klägers lasse durchaus den Schluss zu, dass eine beim Kläger vorhandene Sprechstörung (Stottern) zumindest ein Grund für die Ablehnung der Bewerbung war. Dass bei einer mündlichen Kommunikation der Redefluss gar keine Rolle spiele, sei nicht glaubhaft. Bei nachgewiesener Sprechstörung werde die Beklagte diesen Vermutungstatbestand nach § 22 AGG zu entkräften haben. Selbst wenn ihr dieses misslingen sollte, müsse sie allerdings gem. § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG nur eine Entschädigung in Höhe von maximal drei Monatsgehältern zahlen. Sie hat glaubhaft dargelegt, dass der Kläger auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Im Übrigen liege keine
besonders schwere Persönlichkeitsverletzung vor, die einen Schmerzensgeldanspruch gem. § 823 BGB rechtfertigen könnte.
9 Ta 272/11
9 Ta 272/11