Unwirksamkeit von Kündigungsfristenregelung im MTV RWE – UPDATE

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet auch die Diskriminierung wegen des Alters. Da sich das Gesetz nicht darauf beschränkt, vor Diskriminierungen Lebensälterer zu schützen, sondern auch vor Benachteiligungen wegen eines jüngeren Alters schützt, ergeben sich Fragen in überraschenden Zusammenhängen. So findet sich im Manteltarifvertrag der Tarifgruppe RWE die Regelung, dass für die Verlängerung der Kündigungsfristen nur Zeiten der Betriebszugehörigkeit nach Vollendung des 25. Lebensjahres von Bedeutung sind (§ 18 Abs. 3 MTV RWE). Diese Bestimmung könnte nach dem neuen AGG unwirksam sein. 

Aufgrund der tarifvertraglichen Regelung kann ein Arbeitnehmer der RWE, dessen Arbeitsverhältnis im Alter von 16 Jahren begann, nach 10 Jahren eine Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende in Anspruch nehmen. Ein anderer Arbeitnehmer mit gleicher Betriebszugehörigkeit, der seine Tätigkeit erst im Alter von 30 Jahren aufnahm, könnte demgegenüber eine Kündigungsfrist von 5 Monaten zum Quartalsende in Anspruch nehmen. Der jüngere Mitarbeiter wird also wegen seines (geringeren) Lebensalters benachteiligt. Nach der Bestimmung von § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG darf ein Arbeitnehmer aber nicht wegen des Alters benachteiligt werden.

Das AGG verbietet aber nicht jede Benachteiligung wegen des Alters. So könnten die unterschiedlichen Kündigungsfristen möglicherweise damit gerechtfertigt werden, dass sie der "beruflichen Eingliederung von Jugendlichen" dienen sollen (§ 10 Ziff. 1 AGG).

Der EuGH stellt jedoch hohe Anforderungen an die Rechtfertigung einer Benachteiligung. In dem Verfahren Mangold, in dem die sachgrundlose Befristung lebensälterer Arbeitnehmer verworfen wurde, führte der EuGH aus, dass nachgewiesen werden müsse, "dass die Festlegung einer Altersgrenze als solche unabhängig von anderen Erwägungen im Zusammenhang mit der Struktur des jeweiligen Arbeitsmarktes und der persönlichen Situation des Betroffenen zur Erreichung des Zieles der beruflichen Eingliederung arbeitsloser älterer Arbeitnehmer objektiv erforderlich ist".

Wenn diese Rechtsprechung des EuGH auf die Benachteiligung lebensjüngerer Mitarbeiter bei den Künidgungsfristen übertragen wird, müsste also nachgewiesen werden, dass die Regelung tatsächlich geeignet ist, die Eingliederung jüngerer Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt zu fördern. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann noch nicht abgeschätzt werden, wie die Rechtsprechung zu dieser Frage gestaltet werden wird. Arbeitnehmern muss deshalb empfohlen werden, sich auf die Unwirksamkeit der Bestimmung, nach der für die Verlängerung der Kündigungsfristen nur die Zeiten der Betriebszugehörigkeit nach Vollendung des 25. LebensjahresBerücksichtigung finden, zu berufen.

Update vom 26.11.2007: Zwischenzeitlich hat das LAG Düsseldorf Zweifel an der Bestimmung von § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, die hinsichtlich der gesetzlichen Kündigungsfrist den Ausschluss der Berücksichtigung von Zeiten der Betriebszugehörigkeit vor Vollendung des 25. Lebensjahres vorsieht, geäußert. Das LAG Düsseldorf hat die Frage mit Beschluss vom 21.11.2007 dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Sollte der EuGH die Unvereinbarkeit der Bestimmung von § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB mit europäischen Recht feststellen, dürfte das in gleicher Weise für die Bestimmung von § 18 Abs. 3 MTV RWE gelten. 

Update vom 19.02.2010: Der EuGH hat mit Urteil vom 19.01.2010 festgestellt, dass die gesetzliche Bestimmung von § 622 Abs. 2 S. 2 BGB, nach der bei der Berechnung der Kündigungsfristen die Betriebszugehörigkeit vor Vollendung des 25. Lebensjahres außer Betracht bleibt, nicht zu berücksichtigen ist, gegen europäisches Recht verstößt und deshalb von nationalen Gerichten nicht angewendet werden darf. (EuGH v. 19.01.2010 -C‑555/07)

Zwar hat sich der EuGH nicht mit den Kündigungsfristenregelungen im Manteltarifvertrag der Tarifgruppe RWE befasst, doch gelten dafür die gleichen Erwägungen. Damit verstoßen auch die entsprechenden Regelungen des Manteltarifvertrages gegen europäisches Recht und können nicht mehr angewendet werden. In der Praxis hat das zur Folge, dass für Bestimmung der maßgeblichen Kündigungsfrist die gesamte Zeit der Betriebszugehörigkeit, auch vor Vollendung des 25. Lebensjahres, zu berücksichtigen ist.

Aktenzeichen:

C‑555/07

C‑555/07

C‑555/07

C‑555/07