BAG: Verwirkung des Widerspruchsrechts beim Betriebsübergang 2.0

Bereits im März 2018 hatten wir eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Verwirkung des Widerspruchsrechts beim Betriebsübergang rezensiert, die Ihnen auf unserer Website unter dem Link https://www.mosebach-partner.de/aktuelles/verwirkung-des-widerspruchsrechts-beim-betriebsuebergang/ ebenfalls zur Verfügung steht.

Es dürfte insofern bekannt sein, dass dem Arbeitnehmer beim Betriebsübergang nach § 613a BGB ein Widerspruchsrecht zusteht, das grundsätzlich innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung über den Betriebsübergang geltend zu machen ist. Erfolgt die Unterrichtung nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 613a Abs. 5 BGB wird die Monatsfrist nicht in Gang gesetzt (BAG, Urteil vom 19.11.2015 – 8 AZR 773/14). Da der Arbeitnehmer die Geltendmachung dieses Widerspruchsrechts aus Gründen der Rechtssicherheit nicht zeitlich unbegrenzt ausüben kann, hat das BAG in ständiger Rechtsprechung ausgeurteilt, dass die widerspruchslose Weiterarbeit des Arbeitnehmers für den neuen Inhaber, trotz fehlerhafter Unterrichtung, unter bestimmten Voraussetzungen verwirkt sein kann.

Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB), mit der die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen werden kann. Die Verwirkung beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes und trägt dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit Rechnung. Insofern ist für die Annahme der Verwirkung eines Rechts neben dem Zeitmoment auch das Vorliegen eines Umstandsmoments erforderlich.

 

BAG – 8 AZR 265/16

In der vorbezeichneten Entscheidung vom 24.08.2017 beschäftigte sich das BAG umfangreich mit der Fragestellung, welcher Zeitraum der Weiterarbeit (Zeitmoment) bei dem neuen Inhaber regelmäßig geeignet ist, um bei dem bisherigen Arbeitgeber ein schutzwürdiges Vertrauen zu begründen, dass der Arbeitnehmer den neuen Inhaber endgültig als seinen neuen Arbeitgeber akzeptiert hat und sein Widerspruchsrecht nicht mehr ausüben wird. Dem BAG folgend tritt Verwirkung nach spätestens sieben Jahren der widerspruchslosen Weiterarbeit ein. In dem Urteil von August 2017 konnte das BAG es dahinstehen lassen, welche konkreten Anforderungen an das Umstandsmoment zu stellen sind, da der Entscheidung ein Sachverhalt zugrunde lag, bei dem die Klägerin bereits weniger als sieben Jahre widerspruchslos für den neuen Inhaber gearbeitet hatte. Aufgrund des somit nicht erfüllten Zeitmoments erübrigte sich eine Entscheidung über das Umstandsmoment.

 

BAG – 8 AZR 700/16

Nunmehr hatte der achte Senat des Bundesarbeitsgerichts über einen ähnlichen Fall zu entscheiden und hat konkrete Anforderungen an das Umstandsmoment bezüglich der Verwirkung des Widerspruchsrechts bezeichnet.

Der Kläger war bei der Beklagten in dem Betriebsteil S tätig. Dieser Betriebsteil ging zum 01.01.2006 im Wege eines Betriebs(teil)übergangs auf die D-GmbH über. Über den Betriebs(teil)übergang sowie den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die D-GmbH wurde der Kläger am 14.11.2005 informiert. Das Unterrichtungsschreiben enthielt jedoch weder Angaben zum Sitz der D-GmbH, zu deren Anschrift, noch zum zuständigen Registergericht und zur Registernummer. Außerdem enthielt das Unterrichtungsschreiben keinen Hinweis darauf, gegenüber wem der Widerspruch erklärt werden könne.

Folglich widersprach der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses vorerst nicht und arbeitete ab dem 01.01.2006 für den neuen Inhaber. Erst am 03.09.2015 widersprach er gegenüber seinem ursprünglichen Arbeitgeber S dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die D-GmbH.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Feststellung, sein Arbeitsverhältnis bestehe über den 31.12.2005 hinaus zu unveränderten Bedingungen mit der S.

Das BAG entscheid, dass das Widerspruchsrecht des Klägers zum Zeitpunkt seiner Ausübung im September 2015 bereits verwirkt war. Dabei hat der achte Senat noch einmal den Zeitablauf von sieben Jahren (Zeitmoment) bestätigt. Diesen Zeitraum hatte der Kläger mit fast zehn Jahren der Weiterarbeit, ohne von seinem etwa noch bestehenden Widerspruchsrecht Gebrauch zu machen, deutlich überschritten. Der für die Erfüllung des Zeitmoments maßgebliche Zeitraum beginne dabei frühestens mit dem Betriebsübergang und spätestens mit dem Ablauf der Monatsfrist des § 613a Abs. 6 BGB, wenn diese bei einer fehlerhaften Unterrichtung erst nach dem Betriebsübergang abläuft.

Hinsichtlich des erforderlichen Umstandsmoments erklärte sich das BAG wie folgt. Wird der Arbeitnehmer zwar nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 613a Abs. 5 BGB unterrichtet, aber im Rahmen einer Unterrichtung von dem bisherigen Arbeitgeber und/oder dem neuen Inhaber über den mit dem Betriebsübergang verbundenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses unter Mitteilung des Zeitpunktes oder des geplanten Zeitpunktes sowie des Gegenstands des Betriebsübergangs und des Betriebsübernehmers (sog. grundlegende Informationen) in Textform in Kenntnis gesetzt und über sein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB belehrt, führt eine widerspruchslose Weiterarbeit bei dem neuen Inhaber über einen Zeitraum von sieben Jahren regelmäßig zur Verwirkung des Widerspruchsrechts.

Ausreichend sei dabei nicht die bloße widerspruchslose Weiterarbeit des Arbeitnehmers beim neuen Inhaber über einen längeren Zeitraum. Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände (Umstandsmoment) gibt der Arbeitnehmer durch das Erbringen der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung für den neuen Inhaber noch nicht zu erkennen, dass er an der Vertragsbeziehung mit dem bisherigen Arbeitgeber nicht mehr festhalten will und sein Widerspruchsrecht nicht mehr ausüben wird. Folglich liegt das für die Verwirkung erforderliche Umstandsmoment nur vor, wenn der Arbeitnehmer der Unterrichtung nicht nur hinreichend deutlich entnehmen kann, dass sein vormaliger Arbeitgeber infolge des Betriebsübergangs seine Position als sein Arbeitgeber kraft Gesetzes an den neuen Inhaber abgibt und dass sich der neue Inhaber mit dem Betriebsübergang als sein neuer Arbeitgeber versteht und dem Arbeitnehmer mit der Belehrung über sein Widerspruchsrecht nach §613a Abs. 6 BGB vor Augen gehalten wird, dass und wie er den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses mit dem ursprünglichen Arbeitgeber aus dessen Sicht herbeiführen kann sofern er sich dazu entscheidet, selbst wenn die Unterrichtung ansonsten nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 613a Abs. 5 BGB erfolgte.

Im vorliegenden Fall hatte das Bundesarbeitsgericht aufgrund des Zeitraums von fast 10 Jahren (Zeitmoment) und der wenn auch fehlerhaften Unterrichtung über die grundlegenden Informationen des Betriebsübergangs (Umstandsmoment), das Widerspruchsrecht des Klägers nach § 613a Abs. 6 BGB für verwirkt erachtet.

 

 

Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:

Durch das vorliegende Urteil hat das Bundesarbeitsgerichts die Anforderungen an eine Verwirkung des Widerspruchsrecht des § 613a Abs. 6 BGB noch weiter konkretisiert, insbesondere in Hinblick auf das erforderliche Umstandsmoment. Dieses liege laut dem BAG vor, wenn der Arbeitnehmer zumindest über die grundlegenden Informationen des Betriebsübergangs unterrichtet wurde. Auf die Verwirkung des Widerspruchsrechts kann sich der ursprüngliche Arbeitgeber daher nicht berufen, wenn überhaupt keine Unterrichtung stattgefunden hat, unabhängig davon, wie lange der Arbeitnehmer bereits für den neuen Inhaber widerspruchslos tätig ist. Allein das Vorliegen eines, wenn auch erheblichen Zeitmoments genügt nicht, um eine Verwirkung des Widerspruchsrechts anzunehmen.

 

Gericht:

BAG

Aktenzeichen:

8 AZR 700/16

Datum der Entscheidung:

21.12.2017