ArbG Hagen: Wiederverheiratung eines kirchlichen Einrichtungsleiters
Das Thema Wiederverheiratung hat in den letzten Jahren im Zusammenhang mit dem sogenannten „Chefarzt-Urteil“ die deutschen Gerichte und den Europäischen Gerichtshof intensiv beschäftigt. Und nachdem der EuGH in seinem Urteil vom 11. September 2018 (Az. C-68/17) entschieden hatte, dass die Wiederverheiratung des Chefarztes zwar einen Verstoß gegen kirchliche Loyalitätspflichten darstellt, dieser Verstoß aber nicht zur Kündigung rechtfertigt, hat ein vergleichbarer Fall nunmehr erneut ein weltliches Arbeitsgericht befasst.
Diesmal betraf der Sachverhalt einen Sozialarbeiter, der in einer Caritas-Einrichtung als Leiter angestellt war und am 03.07.2017 seinem Dienstgeber mitteilte, dass er seit dem 01.07.2017 zum zweiten Mal verheiratet sei. Zu diesem Zeitpunkt war er 54 Jahre alt, schwerbehindert, Vater von fünf Kindern und werdender Vater von Zwillingen. Mit Schreiben vom 09.08.2017 kündigte die Dienstgeberin daraufhin nach Zustimmung durch das Integrationsamt das Beschäftigungsverhältnis mit einer sozialen Auslauffrist zum 31.03.2018.
Das ArbG Hagen gibt der dagegen gerichteten Kündigungsschutzklage statt. Der Kläger habe sich zwar durch die Wiederverheiratung in Widerspruch zu den berechtigten Loyalitätserwartungen der Beklagten gesetzt, und damit eine Nebenpflicht verletzt, jedoch liege nach der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse in der Fassung vom 27.04.2015 jedenfalls kein schwerwiegender Loyalitätsverstoß seitens des Klägers vor.
Zu beachten sei dabei insbesondere, dass dem Kläger das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG und auf Schutz der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) zustehe Diese Grundrechte umfassen regelmäßig auch die Freiheit, eine zweite Ehe einzugehen. Die Gestaltung des privaten Lebensbereichs steht außerhalb der Einflusssphäre des Arbeitgebers und wird durch arbeitsvertragliche Pflichten nur insoweit eingeschränkt, wie sich das private Verhalten auf den betrieblichen Bereich auswirkt und dort zu Störungen führt. Berührt außerdienstliches Verhalten den arbeitsvertraglichen Pflichtenkreis nicht, so ist der Arbeitgeber regelmäßig nicht berechtigt, die ihm bekannt gewordenen Umstände aus der Privatsphäre des Arbeitnehmers durch den Ausspruch einer Kündigung zu missbilligen (BAG 10. September 2009 – 2 AZR 257/08 – Rn. 20, = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77; 16. September 2004 – 2 AZR 447/03 – Rn. 43, = EzA BGB 2002 § 242 Kündigung Nr. 5).
Die Beklagte habe in diesem Zusammenhang das Vorliegen eines schwerwiegenden zur Kündigung berechtigenden Loyalitätsverstoßes nicht hinreichend dargelegt.
Nach Art. 5 Abs. 2 GrO in der Fassung vom 27.04.2015 kommt die Wiederheirat als Kündigungsgrund in Betracht, wenn diese Handlung nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen.
Die Beklagte habe aber nicht dargelegt, weshalb die Wiederheirat des Klägers im vorliegenden Fall geeignet sein soll, ein erhebliches Ärgernis im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GrO zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen, zumal leitende Mitarbeiter nicht mehr ausdrücklich als Gruppe aufgeführt sind, bei denen eine Weiterbeschäftigung nach Verstoß gegen Loyalitätsobliegenheiten nicht mehr in Betracht kommt.
Schließlich sei auch die gebotene Einzelfallabwägung nicht ordnungsgemäß erfolgt, bei der insbesondere ins Gewicht fallen müsse, dass unbestritten weitere Mitarbeiter der Beklagten ebenfalls wiederverheiratet waren, ohne gekündigt zu werden.
Hinweise von Rechtsanwalt Dr. Norbert Gescher:
Das Urteil kann im Ergebnis unter Beachtung der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs nicht überraschen. Die Kündigungsentscheidung war bereits 2017 getroffen worden, das Urteil hingegen konnte die Anforderungen unter denen bei Verstoß gegen Loyalitätspflichten eine Kündigung in Betracht kommt, bereits berücksichtigen. Wesentlich bleibt hervorzuheben, dass nunmehr eine volle Kontrolle der Kündigungsgründe durch die weltlichen Arbeitsgerichte gewährleistet ist. Diese Kontrolle umfasst nicht nur die Frage, ob die konkrete Loyalitätsanforderung im konkreten Einzelfall berechtigt ist, sondern auch eine sorgfältige Abwägung der beiderseitigen Interessen. Wenn überhaupt, wird danach nur noch in besonders verkündungsnahen Tätigkeitsbereichen eine (fristlose) Kündigung wegen einem Loyalitätsverstoß durch Wiederverheiratung in Betracht kommen.
Gericht:
ArbG Hagen
Datum der Entscheidung:
14.08.2018
Aktenzeichen:
4 Ca 1055/18